Bündnisleitfaden

Bündnisbau-Tipps für soziale Bewegungen

Wie und mit wem entstehen Bündnisse und wodurch bleiben sie bestehen?

Die Forderungen danach, dass Fridays for Future Bündnisse schließt, werden immer lauter. Doch wer sind gute Bündnispartner*innen? Wie bildet man Bündnisse und wie pflegt man sie? Nützliche Prinzipien aus gründlicher Recherche.


Übersicht:

Wieso Bündnisse?

Bewegungen gewinnen, indem sie immer mehr Unterstützung aus den allermeisten einflussreichen Gruppen einer Gesellschaft anziehen. Doch nicht alle lassen sich innerhalb der Bewegung vereinen. Deswegen ist es sinnvoll, Bündnisse zu schließen – um passiven Support (für FFF in DE 70-80%) so weit wie möglich in aktiven Support (FFF ca. 20-30%) zu verwandeln, auch mit politisch weiter entfernten Gruppen. Sie machen es möglich, dass man möglichst viele “Yes“ses unter einem gemeinsamen “No” vereint. So kann man z.B. das Ja, zu weniger Emissionen und das Ja, zu mehr Arbeitsrechten unter dem No, gegen Nordstream2 vereinen. Jedoch ist es hier wichtig, sich langfristig ein gemeinsames Yes zu suchen (z.B. Yes zum Green New Deal), welches ein positives Bild vermittelt, da das für langfristige Motivation unerlässlich ist.

Beispiel
Es war einmal ein Amazon Versandzentrum

Als OG bekommt ihr mit, dass ein riesiges Amazon Versandzentrum in eurer Kommune gebaut werden soll. Dafür würde Ackerfläche, sowie ein Stück Wald gerodet werden. In ersten Gesprächen mit der Politik merkt ihr, dass ihr nicht auf Überzeugungsarbeit setzen könnt – sie wollen ihr Image polieren und denken an die zahlreichen Arbeitsplätze.

Ihr organisiert euch in einem breiten Bündnis gegen den Neubau. Dabei sind allerlei Organisationen und Partner*innen vertreten. Der lokale Bauer, dessen Felder zerstört werden, der Förster, eine Organisation, die sich für mehr Arbeitsrechte einsetzt, größere Verbände und natürlich ihr.

Zusammen merkt ihr, dass sich etwas bewegt. Euer Bündnis ist breit in der Bevölkerung vertreten und ihr macht Druck auf die Politik.

Identifiziere die Stützsäulen des Status Quo – dann ziehe sie heraus

Man sollte sich früh bewusst sein, an wen die Institution (CDU, Unternehmen,…) gebunden ist, die man zum Wandel zwingen möchte. Es bringt z.B. wenig, wenn ich die RWE AG vom weiteren Kohleabbau abhalten will und darum anderswo die Busfahrer zu einem Streik aufrufe. Man sollte da organizen, wo es den Institutionen direkt wehtut – s.u. ⬇ Bewegungen verbinden Menschen, von denen Machthaber*innen abhängen.

Aber welche Säule soll man versuchen zu beeinflussen? Um das herauszufinden, kann man sich dazu ein bestimmtes Bild vor Augen führen: Die Institution ist ein Gebäude. Ihre Dachspitze mit den mächtigsten Personen ruht auf Säulen – den Machtsäulen. Jede Säule symbolisiert eine Person, Gruppe, andere Institution, welche die Hauptinstitution oben hält.

Beispiel:
Eine Bürgermeisterin hängt zum Beispiel von bestimmten Wähler*innengruppen in bestimmten Stadtteilen ab, von der Unterstützung von regional wichtigen Gewerkschaften, von bestimmten ansässigen Unternehmen (bei denen viele Stadtbewohner*innen arbeiten), von der Loyalität ihrer Parteimitglieder im Stadtrat und vom Wohlwollen der örtlichen Zeitungen. Meinungsführer*innen in all diesen Machtsäulen hängen wiederum von anderen ab.
Reflexionsfragen:
  1. Von welchen Gruppen und Organisationen hängen die entscheidenden Machthaber*innen ab?
  2. Welche Bündnispartner*innen können auf welche Säule Druck ausüben?
  3. Welche Säule hängt von welchen Personengruppen, Vereinen, Organisationen ab?
  4. Und wie kannst du eine Organisation/Gruppe auf eure Seite ziehen, von der eine bestimmte wichtige Institution abhängt, um diese zu beeinflussen? (siehe Bündnisse bilden sich durch sozial quervernetzte Brückenbildner*innen)

Bewegungen gewinnen Macht, wenn die Koalition für ihre Ziele immer breiter wird

Warum genau hilft uns eine breit aufgestellte Koalition?

Mächtige Personen besitzen nur Macht, weil sie von Menschengruppen unterstützt werden. Sie sind von vielen Menschen abhängig – von deren aktivem Support (wählen, direkt mitarbeiten, Interessen vertreten, Gesetze durchsetzen) oder passivem Support (sich nicht widersetzen, nicht widersprechen, nicht Mitbürger*innen vom Handeln überzeugen). Das beschrieb der Bewegungsexperte Gene Sharp in seinem Buch “The Politics of Nonviolent Action”:

„Allein können die Machthaber keine Steuern eintreiben, repressive Gesetze und Vorschriften durchsetzen, Züge nicht pünktlich fahren lassen, keine Staatshaushalte aufstellen, den Verkehr nicht regeln. (…) Die Menschen stellen dem Herrscher diese Dienste durch eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen zur Verfügung. Wenn Menschen aufhören würden, diese Fähigkeiten anzubieten, könnte der Herrscher nicht regieren“.

Es gilt für unsere Bewegung genau so. Passiver Support reicht für uns als Challenger der Klimapolitik aber nicht aus. Bereits im September 2018 wollten 73% der Deutschen einen Kohleausstieg bis 2030 oder früher. Unter Unterstützerinnen und Unterstützern von CDU und SPD ware damals schon mehr als 80% dafür.* Wir müssen diese passive Zustimmung in koordiniertes Entziehen von Support/Einverständnis in Form von Stimmen, Geld und öffentlicher Fürsprache umwandeln.

Der israelische Militärhistoriker Yuval Noah Harari sagte dazu, nachdem er viele historische Revolutionen untersucht hatte: „Wenn man eine Revolution anzetteln möchte, sollte man nicht fragen: ‚Wie viele Menschen unterstützen meine Ideen?‘, sondern: ‚Wie viele meiner Anhänger sind zu effektiver Zusammenarbeit fähig?’“

 

Bewegungen verbinden Menschen, von denen Machthaber*innen abhängen

Man kann Machthaber immer zu etwas zwingen, wenn man ihnen die Unterstützung der Gruppen entzieht, von denen sie am meisten abhängen. Wir können eine neue Sache durchsetzen, indem wir stärker das Bild und die Realität ausmalen, dass die ganze Gesellschaft dafür ist, inklusive vieler bisherigen Stützsäulen des Status Quos:

Die politisch wirksamsten Klimagerechtigkeits-Befürworter*innen sind nicht fortschrittliche Gruppen wie Student*innen, sondern gerade vermeintliche Gegner*innen der Veränderung: ältere Menschen (z. B. Rehasportvereine), religiöse Gemeinschaften (die Katholischen Landfrauen sind bei der Klima-Allianz, Churches for Future), nichtakademische Bürger*innen (“Handwerk mit Verantwortung” ist Teil der Klima-Allianz) und reiche, privilegierte Menschen mit hohem sozialem Status (Lawyers for Future, Economists for Future, Ärzte, Unternehmer, Fußballstars, Manager). Generell gilt: „if you are not uncomfortable, your coalition is too small.

Wir selbst, Klimaaktivst*innen, sind die üblichen Verdächtigen. Ver.di, Unteilbar und Umwelt-NGOs genauso. Erst wenn sich Gruppen, welche aus Menschen mit eher untypischem Alter, Hintergrund und sozialem Status bestehen, solidarisieren, stärkt es das Bild, dass wirklich die ganze Breite der Gesellschaft hinter unseren Forderungen steht. Und erst dann wird unser breiter passiver Support zu aktivem Support.

Reflexionsfrage:
Bündnisse bilden sich meist nicht nur aus Selbstlosigkeit. Viel mehr, wägen auch andere Gruppen ihre Ressourcen ab und überlegen sich, welche Bündnisse ihnen etwas bringen. Welche überraschenden, unüblichen Gruppen kannst du zu einem Bündnis bewegen, indem du ihnen zeigst, wie ihre Anliegen von deinem abhängen?

Bündnisse bilden sich durch sozial quervernetzte Brückenbildner*innen

Es hat sich gezeigt, dass es vor allem durch Brückenbildner*innen zu Bündnissen kommt. Das sind Menschen mit guten Kontakten zu anderen, weiter entfernten (!) Organisationen oder die sogar in zwei Organisationen gleichzeitig sind. Um neue Bündnispartner*innen zu gewinnen ist es also sinnvoll, sich zu überlegen, ob es aus der eigenen Gruppe heraus Verbindungen zu einer anderen Gruppe/Organisation gibt. Siehe unten, ⬇ Chamäleon-Effekt: Gute Brückenbildner*innen sind Zielgruppen ähnlich & nah.

Es gilt: Soziale Beziehungen und die Fähigkeit, diese proaktiv durch passende Sprache und Werte zu pflegen, sind unerlässlich für funktionierende Bündnisse. Wer das am besten kann? Menschen aus diesen Umfeldern, insbesondere Meinungsführer*innen. Wenn es also keine direkten Brückenbildner*innen in eurer Gruppe gibt, überlegt euch, wie ihr z.B. über Freunde, Familie oder Bekannte Kontakt aufbauen könnt – insbesondere zu “unüblichen Verdächtigen”.

Chamäleon-Effekt: Gute Brückenbildner*innen sind Zielgruppen ähnlich & nah

Die Person, die Kontakt aufnimmt und managt, sollte immer jemand sein die*der ihnen am nächsten und am ähnlichsten ist. Geografisch aus der Nähe, sozioökonomisch ähnlicher Background, spricht dieselbe Sprache, ist beim selben Verein. Hat (Groß-)Eltern, die selbst [Bergarbeiter*innen/Landwirte/…] sind – spricht also als Peer, nicht als Außenstehende*r.

Reflexionsfrage:
Seid ihr selbst in anderen Organisationen oder Gruppen aktiv, die für ein Bündnis in Frage kommen? Wenn das nicht der Fall ist, habt ihr über Freund*innen, Bekannte, Familie o.ä. Verbindungen?

Für Bündnisbau-Kommunikation immer an deren Kernwerte anknüpfen

  • gegenüber Kirchen: Im Bündnis für Klimagerechtigkeit einzutreten ist das Christlichste, was man tun kann – Nächstenliebe, Schöpfung bewahren, Verantwortung und vorausschauend handeln, gegen Gier. Beispiel
  • gegenüber Sportvereinen: Die Pandemie, die euren Sport für über ein Jahr zersetzt und gefährlich gemacht hat – niemand will das in Zukunft wieder. Aber eine ungebremste Klimakrise bringt mehr und mehr Pandemien (siehe Corona und das Klima), deswegen wollen wir sie gemeinsam abwenden und vom Staat fordern, endlich die Weichen für eine sichere Zukunft zu stellen
  • gegenüber Oma, die beim Heimatbund-Archiv im Ehrenamt hilft: …
  • siehe auch Radikale Ziele erreichen, nicht radikal klingen im Ortsgruppen-Playbook

Erst explizite gemeinsame Ziele machen Bündnisse stark

Viele Bündnisse scheitern daran, dass sie sich nicht im Klaren sind, was ihre eigenen Ziele und Interessen sind. Die Forschung über Bewegungsbündnisse hat jedoch gezeigt, dass Bündnisse ohne gemeinsame Ziele nicht funktionieren. Die verschiedenen Gruppen brauchen eine Forderung (ein großes gemeinsames Yes – “Wofür sind wir”), hinter der sie sich zusammenschließen können. Unter diesem Yes können sich viele andere Forderungen (sub-yeses) finden. Religionsgemeinschaften wollen zum Beispiel wieder mit vielen Menschen in ihre Gotteshäuser (ein sub-Yes). Wegen der aktuellen Pandemie ist das nicht möglich. Zeigt man ihnen den Zusammenhang von Klimawandel und Pandemien, bekommt man vielleicht die Unterstützung zu mehr Klimaschutz (großes Yes).

Auch bilden gemeinsame Ziele eine gemeinsame Identität/Einheit und sorgen dafür, dass Bündnisse länger bestehen. Besteht diese “unity of message” nicht, verliert die Bewegung an Fahrt.

Beispiel:
Die serbische Organisation Otpor! schaffte es den damaligen serbischen Machthaber Slobodan Milošević zu stürzen, indem sie mit der Hilfe einer klaren Message, „he is finished“, 19 teils verfeindete Oppositionsparteien vereinte. Alle Differenzen waren egal – den Diktator abzusetzen und demokratische Wahlen zu haben war gemeinsames Ziel

Aber nicht jedes Bündnis muss im Vorhinein dafür gedacht sein, möglichst lange zu halten. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, strange bedfellow alliances einzugehen. Diese entstehen, wenn es nur sehr kurzzeitig gleiche Ziele und Motive gibt und die Gruppen ansonsten nichts vereint.

Beispiel:
In den USA bildete sich in den 1980er Jahren ein Bündnis zwischen konservativen und Feminist*innen, um gemeinsam gegen die Pornoindustrie vorzugehen.

Bündnisse ohne Organisationsstruktur neigen dazu, im Sand zu verlaufen

Wie auch Bewegungen im Allgemeinen, brauchen Bündnisse Organisationsstrukturen, um nicht zu verfallen oder im Sand zu verlaufen. Das ermöglicht auch ein starkes Engagement und einen respektvollen Umgang aller Bündnispartner*innen miteinander. Wie bereits oben erwähnt, sind gute soziale Beziehungen in einem Bündnis unerlässlich. Dabei muss die Organisationsstruktur nicht bedeuten, dass es ein*e Chef*in gibt. Jo Freeman formulierte das als Warnung vor „the Tyranny of Structurelessness” – informelle Strukturen bilden sich zwangsmäßig. Besser: Mandate und Handlungsfreiheit vergeben, Transparenz über geschehene Schritte erleichtern und einfordern.

Beispiel:
Der US-Amerikanische Studierendenverbund Students for a Democratic Society schaffte es innerhalb kürzester Zeit, die Zahl der Mitglieder stark zu steigern. Schon bald beteiligten sich auch nicht mehr nur Studierende an Aktionen, sondern z.B. auch Popstars. Kurz danach entschied die Masse, dass der Verein keine Struktur wie eine*n Präsident*in haben sollte und öffnete die Strukturen. Nur kurze Zeit später zerbrach der SDS in einzelne Splittergruppen und verlor seine Masse und damit seine Stärke als Bewegung.
Reflexionsfragen:
Seid ihr bereits Teil eines Bündnisses?

Wie werden Dinge in diesem Bündnis beschlossen? Wie werden Aufgaben aktuell verteilt und wer entscheidet darüber? Gibt es bestimmte Gremien, die sich durch ständige Updates und gute Angebote legitimieren können und feste Aufgaben übernehmen?

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