Vorschlag für ein Awareness-Konzept für Großdemos
Inhalt:
Einleitung
- Grundlagen
- Parteilichkeit
- Täter*innen-Arbeit
- Vorgehen in konkreten Situationen
- Passives vs. aktives Awareness-Konzept
- Awareness-Konzept für Großdemos
- Einteilung der Teams
- Helfer*innen-Formular erstellen
- Erkennungszeichen (Westen o.ä.)
- Rückzugsort (Zelt o.ä.)
- Awareness bewerben (SM, Flyer, Zines, etc.)
Einleitung
Was ist Awareness?
„Unter Awareness verstehen wir ein machtkritisches Bewusstsein für die eigene Position. Unsere gesellschaftliche Position wird von strukturellen Machtverhältnissen mitbestimmt. In sozialen Gefügen wirkt sich das auf die Teilnehmenden aus. Menschen, die gesellschaftlich privilegiert sind, haben es häufig(!) leichter; andere, die öfter Diskriminierung erleben, haben es häufig(!) schwerer. Die unterschiedliche Positioniertheit muss sichtbar gemacht werden, wenn eine Veranstaltung möglichst angenehm für alle Beteiligten ablaufen soll. Awareness versucht, das Bewusstsein für Ungleichheiten zu schaffen/zu schärfen und produktiv mit diesen umzugehen. Awareness-Arbeit hat also das Ziel, mit allen Beteiligten diskriminierungsfreie(re) soziale Räume herzustellen.“
– Quelle: awareness.blogsport.eu
Awareness-Arbeit findet Anwendung in allen möglichen Lebensbereichen, unter anderem auf Partys oder in den Strukturen von Gruppen, aber auch im Alltag, kurzum: in allen sozialen Räumen. Auch bei Demos ist Awareness wichtig, denn hier kommt es immer wieder zu grenzüberschreitendem Verhalten und dazu, dass Menschen sich in einer Situation unwohl fühlen. Bei Fridays For Future gehen viele junge Menschen auf die Straßen, für viele sind unsere internationalen Aktionstage die ersten Großdemonstrationen. Um möglichst allen Teilnehmenden ein angenehmes Erlebnis ermöglichen zu können, ist es also wichtig, Awareness zu etablieren.
Im Folgenden findet ihr einen Leitfaden, der sowohl die groben Grundlagen von Awareness-Arbeit behandelt als auch Vorschläge und Hinweise für (Groß-)demonstrationen. Was hier steht, ist jedoch nur ein Vorschlag; wir empfehlen euch, selbst Recherchearbeit zu betreiben und innerhalb eurer Ortsgruppe auszudiskutieren, inwiefern ihr Awareness-Arbeit bei euren Aktionen umsetzen möchtet. Bedenkt, dass ihr als OG einen Konsens findet müsst, wie ihr auftretet, d.h. wo ihr eure Grenzen setzt (z.B.: Schalten wir im Notfall Polizei ein oder nicht? Leisten wir passive oder auch aktive Awareness-Arbeit? usw.).
Wenn eure OG noch kein Awareness-Team hat, lest euch bitte auch den Leitfaden dazu durch [hier].
1. Grundlagen
Dies ist jeglich ein Leitfaden für Awareness innerhalb einer Struktur. Was wie gehandhabt wird und ob gewisse Prinzipien übernommen werden, muss innerhalb der Struktur abgestimmt werden. Grundsätzlich gilt immer: Vorher darüber reden und Sachen beschließen, nicht erst wenn es eskaliert!
1.a Parteilichkeit
Ergreift bei Grenzüberschreitungen immer Partei für die betroffene Person und hinterfragt deren Perspektive nicht!
Wieso? Awareness ist aus der Idee entsprungen, einen Gegenpol zu staatlichen Strukturen im Umgang mit Grenzüberschreitungen zu finden, bei welchen die betroffene Person häufig der Beweispflicht obliegt [s. Definitionsmacht: Betroffene definieren, was grenzüberschreitend war/ist; diese Definition wird übernommen]
1.b Täter*innen-Arbeit
Awareness soll auch bei den Täterpersonen einen Gegenpol zu staatlichen Strukturen bilden; das Ziel von Awareness-Arbeit ist auch, durch Selbstreflexion und Weiterentwicklungsprozesse bei den Täter*innen eine Einsicht, weshalb das Verhalten grenzüberschreitend war, und eine nachhaltige Veränderung zu bewirken
Wieso? Hinter Grenzüberschreitungen stecken tiefere, strukturelle gesellschaftliche Probleme, welche nicht durch Isolation (Gefängnis, etc.) gelöst werden können; aufgrund von polizeilichen und staatlichen Repressionen hat nicht jede*r einen Vorteil beim Staat – Awareness soll einen anderen Ansatzpunkt bieten [siehe auch transformative Gerechtigkeit]
Fragt euch: Ist es cool für die Person, die Polizei einzuschalten? Bringt das überhaupt etwas oder wird die Täterperson nur isoliert? – Findet einen Konsens (Empfehlung: Nach Möglichkeit in keiner Situation Polizei/Staat einschalten)
1.c Vorgehen in einer konkreten Situation
- hört der betroffenen Person zu, bohrt nicht herum oder hakt nach!
- KEIN KÖRPERKONTAKT! [kann triggern; grenzüberschreitend]
- trefft gemeinsame Entscheidungen mit der betr. Person, was im Anschluss geschehen soll, z.B.: Konfrontation mit Täterperson, Rückzug/Verlassen der Situation, Rauswurf der Täterperson, usw.); trefft niemals eigenmächtig Entscheidungen! (Balanceakt: Wenn Verhalten der Täterperson gar nicht klar geht (auch ohne Wunsch der betroffenen Person) trotzdem wegschicken?)
- tretet selbstbewusst gegenüber der Täterperson auf
- Was traut ihr euch zu, was nicht? Awareness-Menschen sollen nicht in Drucksituationen geraten, nicht jede*r muss alles machen; arbeitet im Team!
1.d Passives vs. aktives Awareness-Konzept
Findet einen Konsens in eurer OG, wie ihr Awareness-Arbeit auf euren Veranstaltungen umsetzt!
– Passiv: zeigt eure Awareness-Menschen erkenntlich, kündigt ggf. auch an, dass es Awareness geben wird; wartet, bis Menschen auf euch zukommen, geht nicht aktiv auf diese zu; fragt euch: Wenn betroffene Person eine Konfrontation ablehnt, Täter*in trotzdem verweisen? (evtl. abhängig von Art der Grenzüberschreitung?)
– Aktiv: beobachtet neben der passiven Awareness-Arbeit auch aktiv die Teilnehmenden und sprecht diese an, falls ihr eine Situation seht, die wahrscheinlich grenzüberschreitend ist; das Ansprechen/Eingreifen kann jedoch ebenfalls grenzüberschreitend sein
2. Awareness auf Großdemos
2.a Einteilung der Teams
Für kleine Demos reicht es, wenn ihr min. 2-3 Awareness-Menschen bestimmt, die für Demoteilnehmer*innen erkennbar sind (s. 2.3 Erkennungszeichen) und diese auch auf der Demo ankündigt. Bei größeren Demos oder sogar richtigen Großdemos ist es jedoch empfehlenswert, die Awareness-Arbeit besser zu koordinieren, damit die Arbeit nicht an Einzelpersonen hängen bleibt und ihr möglichst allen Teilnehmenden die Verfügbarkeit von Awareness-Menschen garantieren könnt. Hierfür teilt ihr euch am besten in verschiedene Teams auf, die sich gleichmäßig über den Demozug verteilen. Besonders an Orten wie Transpis oder Lautiwagen, die die Menschen leicht finden und an denen sich auch andere Orga-Menschen aufhalten, sollten zu jedem Zeitpunkt Awareness-Menschen sein. Aber auch der Rest des Demozugs sollte nicht vernachlässigt werden, sodass die Teilnehmenden möglichst immer einen Awareness-Menschen finden.
Pro Team sollten mindestens zwei, am besten drei, Awareness-Menschen eingeteilt werden. Nach Möglichkeit sollten die Teams divers gestaltet sein, d.h. z.B. min. eine FINT*-Person in jedem Team. Falls das nicht möglich sein sollte, versucht die Teams an den wichtigsten Orten (bspw. am Lautiwagen und Fronttranspi) so divers wie möglich zu belegen. Achtet aber auch darauf, bspw. FINT*-Personen nicht im Namen der Diversität dazu zu drängen, Awareness-Arbeit auf sich zu nehmen.
2.b Helfer*innen-Formular erstellen
Ein Helfer*innen-Formular für Demos zu erstellen, ist nicht nur für Awareness sinnvoll, sondern kann auch bei der Suche nach Ordner*innen, Helfenden beim Auf- und Abbau uvm. hilfreich sein.
Bei Awareness geht es darum, dass möglichst alle in einem Raum aware sind. Awareness ist nichts Exklusives, sondern sollte in den Köpfen von möglichst vielen Menschen sein. Besonders bei Demos mit Tausenden oder Zehntausenden Teilnehmer*innen habt ihr als Orga-Team außerdem vermutlich nicht die Kapazitäten, um genug Awareness-Teams für den gesamten Demozug zur Verfügung zu stellen. Daher bietet es sich an, mithilfe eines Formulars o.ä. weitere Menschen anzuwerben.
In welchem Maß ihr das tut, ist euch überlassen. Hier zwei Beispiele, in welchem Umfang ihr Menschen außerhalb des Orga-Teams mit einbinden könntet:
Geringfügige Unterstützung mit wenig Vorbereitungsaufwand
- Erstellen eines Formulars mit einer kurzen Erklärung zu Awareness; kein Abfragen von Erfahrung mit Awareness u.ä., nur Kontaktmöglichkeit(en), bspw. MailRumschicken eines ausführlicheren Infotexts zu Awareness-Grundlagen und Awareness auf Demos
- vor Beginn der Demo oder bei der Startkundgebung: Treffen mit möglichst allen Interessierten um bspw. Awareness-Binden zu verteilen und ein letztes Mal zu erklären, worauf die Menschen achten sollen, wie sie sich am besten verhalten, usw.
- wichtig: min. eine Ansprechperson vom Awareness-Team der Orga zur Verfügung stellen [Handynummer], falls die Helfer*innen selbst überfordert sind in einer Situation o.ä.
Beispiel für ein Formular: https://forms.gle/JGRK3BmYZQsqEWt57
Unterstützung im großen Stil mit hohem Vorbereitungsaufwand
- Erstellen eines Formulars mit ausführlicher Erklärung zu Awareness, Abfragen von Erfahrungen mit Awareness, Selbsteinschätzung zu Stärken und Schwächen in dem Bereich, Kontaktmöglichkeit(en), bspw. Mail
- Vorbereitungstreffen in Form eines Awareness-Workshops, der die Grundlagen und Awareness auf Demos erklärt, Möglichkeit um sich vorher kennenzulernen, Fragen zu stellen, besser zu reflektieren, was man sich zutraut und was nicht
- Ausführliche Informationen zu Awareness rumschicken für diejenigen, die nicht zum Vorbereitungstreffen kommen konnten und für alle anderen, um sich die Inhalte noch einmal durchzulesen und Revue passieren zu lassen
- vor Beginn der Demo: letzte Besprechungen, Verteilen von Westen/Armbinden [Erkennungszeichen], kurzes Coaching für diejenigen, die nicht am Workshop teilnehmen konnten
- wichtig: min. eine Ansprechperson vom Awareness-Team der Orga zur Verfügung stellen [Handynummer], falls die Helfer*innen selbst überfordert sind in einer Situation o.ä.
Beispiel für ein Formular: https://forms.gle/VdARxsgF4LwvMg5w5
2.c Erkennungszeichen
Euer Awareness-Team muss für die Demoteilnehmer*innen klar und unterschieden von den Orga-Menschen zu erkennen sein. Damit Menschen euch gezielt finden finden können und ihr ihnen aktiv helfen könnt. Neben den Teams sollte auch das Awareness-Zelt als solches zu erkennen sein.
Beispiele für die Kennzeichnung von Awareness-Menschen:
- Westen oder T-Shirts, nach Möglichkeit in einer anderen Farbe als normale Orga-Westen/Shirts (ansonsten zumindest die Aufschrift „Awareness“)
- Armbinden, nach Möglichkeit ebenfalls klar von den Ordner*innen-Binden zu unterscheiden
- Buttons mit bspw. der Aufschrift „Awareness“ o.ä.
Egal wofür ihr euch entscheidet, wichtig ist, dass ihr klar kommuniziert, woran Awareness-Menschen auf der Demo zu erkennen sind.
2.d Rückzugsort
Nach Möglichkeit soll bei längeren Kundgebungen ein Rückzugsort eingerichtet werden, dieser kann z.B. ein Zelt oder ein Raum sein.
Euer Rückzugsort sollte für die Gewährleistung einer ruhigen Atmosphäre zudem folgendes beinhalten:
- Sitz-/ Liegemöglichkeiten
- Decken und Kissen
- Wasser und kleine Snacks (z.B. Salzstangen, Schokolade)
- Möglichkeiten der Ablenkung (Kartenspiele o.ä.)
Es sollte sich mindestens eine Awareness Person durchgehend am Rückzugsort befinden. Diese müssen die Teams aber gut erreichen können, damit diese im Notfall schnell am Rückzugsort erscheinen und helfen können. Gleichzeitig sollten sich im Awareness-Zelt nicht mehr Awareness-Menschen als nötig aufhalten oder sogar von anderen (Orga-)Menschen sogar als Hangout-Spot genutzt werden, denn dann stellt das Awareness-Zelt keinen ruhigen Rückzugsort mehr dar, sondern viel mehr eine weitere Situation, die die Betroffenen überfordern könnte.
2.e Awareness bewerben
Awareness will auch beworben werden! Es lohnt sich besonders vor Großdemos, also z.B. den internationalen Streiktagen, auch für euer Awareness-Team zu werben. Hierzu könnt ihr am effektivsten eure Social Media Mittel nutzen, macht mit Posts auf Instagram, Twitter und Facebook sowie mit Nachrichten in euren Infogruppen auf euer Team und eure Arbeit aufmerksam. Auf der Demo könnt ihr Durchsagen machen und mittels Flyern, Zines usw. genauer über eure Funktion informieren.
Wichtig ist vorallem, dass ihr klar macht, wann die Teilnehmenden Awareness-Menschen ansprechen können und sollen, also bspw. wenn Grenzen überschritten wurden, man sich unwohl fühlt, etc. Sagt außerdem ganz explizit, wie das Awareness-Team zu erreichen ist, bspw. durch direktes Ansprechen, Ansprechen von Orga-Menschen, etc.
Hier einige Beispiele, wie auf Awareness bei Demos aufmerksam gemacht werden kann:
Infonachricht im Vorfeld des 20.09. von der OG Aachen:
Awareness 👁🆘
Ihr fühlt euch unwohl? Jemand hat eure Grenzen überschritten? Keine Sorge, wir haben ein Awareness-Team! Diese Menschen kümmern sich darum, dass es bei der Demo allen gut geht und unterstützen euch in solchen Situationen so gut es geht.
💛 Haltet Ausschau nach den Menschen mit lila/pinken Westen und der Aufschrift „Awareness“ oder bunten Bändchen (ähnlich wie die Ordner*innen-Binden) und sprecht sie an.
💚 Ihr möchtet es etwas diskreter? Sucht einen Orga-Mensch (grüne Weste, Aufschrift „Orga“) und fragt nach Oliver oder Olivia. Die Orga-Menschen werden dann Kontakt mit Awareness-Menschen aufnehmen.
💙 Im Kennedypark wird es außerdem ein Awareness-Zelt geben, falls ihr einen Rückzugsort und etwas Ruhe braucht. Auch dort werden immer Awareness-Menschen anwesend sein! Falls ihr das Zelt nicht findet, sprecht einfach einen Orga-Mensch an.
💜 Informiert eure Freund*innen! Es ist wichtig, dass möglichst viele Menschen über die Awareness-Arbeit Bescheid wissen. Achtet außerdem darauf, in euren Bezugsgruppen zu bleiben, besonders wenn es eine eurer ersten großen Demos ist!
Und eine Bitte an alle: Versucht alle aware (aufmerksam, bewusst) zu sein und achtet auf eure Mitmenschen während der Demo! Handelt selbstreflektiert und vermeidet es, die Grenzen anderer zu überschreiten.