Öffentlich Reden und Moderieren:
Sich Entscheiden, Vorbereiten und Gefühle Bewältigen
von Dagmar Petermann, PsychologistsforFuture
A) Sich entscheiden: Soll ich es machen?
Die Entscheidung, eine Rede vor großem Publikum zu halten oder die Moderation einer Podiumsdiskussion zu übernehmen, ist nicht einfach. Dabei spielen verschiedene Formen von Aufregung eine Rolle. Zuerst versuche zu unterscheiden: Ist es Lampenfieber, erlebe ich Angst oder habe ich berechtigte Furcht?
Lampenfieber ist normal, selbst für Profis. Es mobilisiert Energie, sorgt für eine gute Durchblutung des Gehirns und steigert die Konzentration und Ausdauer.
Angst dagegen lähmt, sie beschäftigt uns mit negativen Vorstellungen, unsere Aufmerksamkeit wird von ihr gefangen genommen und unsere Fähigkeit zur Selbstregulation ist eingeschränkt.
Berechtigte Furcht weist uns auf Überforderung, mangelhafte Vorbereitung oder fehlende Routine hin.
Eine öffentliche Rede zu halten oder eine Diskussion zu moderieren ist höchst anspruchsvoll. Wenn jemand es sich nicht zutraut, ist das okay. Aber man kann es lernen. In der Jugend und als junge*r Erwachsene*r ist die Lernkurve für soziale Situationen sogar besonders steil: Eine gute Gelegenheit.
Du bist mit Zweifeln auch nicht allein: In Befragungen geben 40 % an, mehr Angst vor einer Rede vor großem Publikum zu haben als vor dem Tod. Die ZuhörerInnen können deine Angst also nachvollziehen.
Die Moderation einer Podiumsdiskussion ist schwieriger als eine Rede, weil die Interaktion mit den Teilnehmenden und dem Publikum nicht vorhersehbar ist. Eine Rede kann man zur Not ablesen, aber als ModeratorIn muss man auf der Metaebene denken, spontan agieren und dabei die Reaktionen aller stets voraussehen. Das ist selbst für geübte RednerInnen eine neue Herausforderung. Andererseits bietet die Moderation immer wieder die Gelegenheit, die Redezeit von Teilnehmenden für eine kurze Pause zur Selbstregulation zu nutzen.
Mit diesen Fragen kannst du einschätzen, ob du einer solchen Situation gewachsen bist:
1) Einschätzen der Ressourcen:
Wie viel Erfahrung habe ich mit Situationen, die etwas vergleichbares fordern? Wie leicht fällt mir das: Frei Reden im Klassenzimmer, Vortrag halten vor bekannten oder fremden Menschen, frei oder abgelesen, Fragen dazu frei beantworten?
Zwischen Streitenden vermitteln, eine Gruppe betreuen, ein Seminar geben?
Kann ich genug Autorität ausstrahlen, um auch gestandene PolitikerInnen in Grenzen zu verweisen, ihnen freundlich und bestimmt das Wort abschneiden? Kann ich mich dabei über die gelernten Rollenbilder (SchülerIn/StudentIn vs. Autoritätsperson) hinwegsetzen? Kann ich auch mit verbalen Attacken (ad hominem) oder Drohungen umgehen?
Kann ich während der Diskussion gedanklich in die Metaebene wechseln? Erkenne ich zB. einen Strohmann-Diskurs? Kann ich die Diskussion in eine andere Richtung führen?
Kann ich mit Öffentlichkeit umgehen, etwa durch Presseberichte oder in sozialen Medien?
Welche Erfahrung habe ich mit all dem?
2) Einschätzung von Ängsten:
Habe ich Katastrophenszenarien im meinem Kopf? (Ich werde mich blamieren, stottern, alles vergessen, rot werden, alle werden lachen)
Wie gut kann ich diese Ängste regulieren? Die Vorstellungen als Gedanken einfach vorbeiziehen lassen, mich körperlich entspannen?
Welche Erfahrungen habe ich damit?
3) Soziale Unterstützung:
Welche Unterstützung bei der Vorbereitung habe ich? Wie und mit wem kann ich üben?
Wo kann ich mir Fertigkeiten abschauen? Wer fängt mich auf?
4) Wenn es schiefgeht: Welche Exit-Strategien kann ich wann anwenden? Habe ich den Mut dazu?
Das sind viele Fragen, die du dir stellen kannst, um deinen Ausgangspunkt klarer zu beurteilen und dich zu entscheiden, ob du dich dieser Herausforderung stellen willst.
Dabei gibt es aber auch entlastende Aspekte: Die meisten im Publikum und die RednerInnen auf dem Podium kennen ihre Rolle und sind bereit, sich sozial konform zu verhalten und darüber hinaus, zum Erfolg der Veranstaltung beizutragen.
Du bist nicht allein. Du bereitest dich in einem Team vor und hast viele Menschen hinter dir.
B) Vorbereiten und bewältigen: Wie schaffe ich das?
Wenn du dich entschieden hast, die Aufgabe zu übernehmen, kannst du die Zeit bis dahin nutzen, um dich auch emotional vorzubereiten. Dafür gibt es mehrere Zeithorizonte:
1) Vorbereitung (Wochen):
In der Vorbereitung soll ein Netz von Gehirnaktivitäten, zusammen mit einem körperlichen Zustand, aufgebaut werden, welches hilfreich für die Bewältigung der Herausforderung ist. Es soll möglichst groß und stabil werden, um in der Situation sicher zur Verfügung zu stehen. Das heißt, ein bestimmter körperlicher, mentaler und emotionaler Zustand soll hervorgerufen werden, in dem du dich fähig fühlst, die Herausforderung zu bestehen. Dazu soll das Netz möglichst verschiedene Elemente enthalten: Verschiedene sensorische, wie Sehen, Hören, Spüren oder Erinnerungen, wie an bestandene Herausforderungen oder an Menschen, oder Gegenstände als Hinweisgeber (Anker). SportlerInnen machen das vor einem Wettkampf. Dieses Netz ist besonders wirksam, wenn du es körperlich gut spürst.
Zuerst stelle dir deinen Zielzustand vor. Wie willst du dich fühlen? Wenn du dich in diesen Zustand hineinfühlst, kannst du Bestandteile deines Zielzustands wahrnehmen:
Wie fühlt sich dein Körper an, welche Haltung nimmst du ein? Bemerkst du bestimmte Körperstellen besonders deutlich?
Welche Bilder tauchen in dir auf?
Welche Töne? Kennst du Musik, die genau das ausdrückt? Vielleicht eine Zeile in einem song?
Wie hört sich deine Stimme an? Beobachte deine Atmung und deine Muskulatur in Kopf, Hals und Rumpf.
Was kann dich besonders gut an diesen Zustand erinnern?
Du kannst dir auch ansehen, wie ModeratorInnen im Fernsehen oder Internet agieren und besonders versuchen, dich körperlich und emotional in sie hineinzuversetzen.
Übe in den nächsten Wochen, diesen Zustand hervorzurufen. Es gibt wahrscheinlich bereits viele Alltagssituationen, in denen du bemerkst, dass du diesen Zustand einnimmst. Nimm sie bewusst wahr, denn dadurch wird dieses Netzwerk gestärkt.
Hast du Möglichkeiten, die Zielsituation zu üben und dabei dein Ziel-Netzwerk zu stärken? Etwa, indem du mit Freunden Rollenspiele übst, die den Schwierigkeitsgrad langsam steigern. Oder eine Situation, die nicht ganz so schwierig ist. Vielleicht eine Rede/Podiumsdiskussion in der Schule oder Uni? Dadurch kannst du auch besser einschätzen, was du dir jetzt schon zutrauen kannst, und wo du noch warten solltest, bis du dich sicherer fühlst.
Für eine große Herausforderung sollten auch Strategien geübt werden, die bei Problemen angewandt werden: Selbstregulation unter Stress und Exit-Strategien.
Selbstregulation: Unter Stress kann die Aufregung ein Maß erreichen, das Aufmerksamkeit, Denken und Handeln behindert. Dann solltest du ein paar Übungen zur Verfügung haben, die die Aufregung herunterfahren. Sie sollten schnell und unauffällig machbar sein. Wichtig ist: Auch diese Übungen solltest du geübt haben, so dass sie auch unter Stress zur Verfügung stehen, wenn du nicht mehr gut denken kannst.
Sehr bewährt sind Atemübungen: Sich für ein paar Atemzüge ganz auf das Atmen konzentrieren, langsam ein und noch langsamer ausatmen, Bauchatmung. Jetzt kann auch ein Anker helfen, den man z.B. in der Hosentasche hat, oder ein Blick zu Familie/Freunden in der ersten Reihe, vielleicht mit einem vorher vereinbarten Zeichen. Oder langsam von 10 herunterzählen.
Bei einer Rede hat es sich bewährt, erst einmal sehr langsam das Thema vorzulesen, um ins Sprechen zu kommen.
Allgemein gilt: Bei Aufregung verlangsamen, Muskeln entspannen und ruhig atmen. Sich Zeit lassen. Meist fällt es niemandem auf.
Exit-Strategien: Eine Rede kannst du auch abrupt beenden, indem du einfach sagst: Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, und das Podium verlässt. Als ModeratorIn kannst du an eine*n Ko-Moderator*in übergeben, vielleicht auf ein vereinbartes Signal. Du könntest auch an einen vorbereiteten Sachvortrag als Einschub übergeben und in dieser Zeit die Situation klären. Wichtig: Alle Exit-Strategien sollten vorher besprochen sein. Du wirst sie selten brauchen, aber sie zu haben, verleiht Sicherheit.
Während dieser Vorbereitungen: Nimm deine Gefühle wahr, die dir sagen, was jetzt schon geht und was nicht. Diese Zeit der Übung nützt dir auf jeden Fall, auch wenn du dich jetzt noch nicht bereit fühlst, die große Herausforderung anzunehmen und zurücktrittst. Sei ehrlich mit dir. Das ist deine Entscheidung.
Jetzt kannst du auch überlegen, welche Randbedingungen du brauchst, um Erfolg zu haben, und das mit deiner Gruppe besprechen. (Ko-ModeratorIn, SaalordnerInnen, ein eher sachliches Thema, das nicht so leicht hochkochen kann, freundliche ExpertInnen auf dem Podium …) Es ist wichtig, dass du auch hierbei klar bist, damit das in die Vorbereitungen aufgenommen werden kann. Auch Exit-Strategien sollten jetzt geklärt werden.
Nimm dir während der Vorbereitungen auch immer wieder bewusst Zeit für dich selbst. Niemand kann wochenlang 100 % geben. Horche in dich, was du brauchst und achte auf deine Grenzen.
2) Kurz vor der Situation (Stunden):
Du hast dich entschieden, dass du bereit für die Herausforderung bist, und du hast dich gut vorbereitet. Jetzt geht es darum, dein Netzwerk zu aktivieren. Du hast jetzt Erfahrung damit, und du tust das, was dir dabei hilft. Das ist individuell sehr verschieden. Manche ziehen sich zurück, manche suchen ihre FreundInnen auf, manchen hilft es, sich unter die Leute zu mischen oder ein paar Worte mit den ExpertInnen zu wechseln.
3) In der Situation:
Du bist gut vorbereitet. Meistens vergisst man seine Aufregung, während man seine Aufmerksamkeit auf die Aufgabe fokussiert, und selbst viele Störungen werden jetzt ausgeblendet. Selbst wenn die Nervosität anhält, wird sie vom Publikum meistens nicht stark wahrgenommen, und sie wird auch selten negativ bewertet. Bei kleinen Unsicherheiten reicht es, ein paarmal tief durchzuatmen.
Sollte sich ein starkes Gefühl einstellen, dass etwas sehr schief läuft, wird es doch nötig, kurz aus dem Prozess auszusteigen und der Ursache nachzugehen. Das ist während einer Rede bei einem Folienwechsel möglich und bei einer Diskussion, wenn jemand anders gerade das Wort ergriffen hat. Dann ist zu entscheiden, ob ein Eingreifen nötig ist, oder vielleicht auch andere das Problem beheben können. Ist die Störung von Belang, muss eventuell eine Exit-Strategie gewählt werden. Ansonsten kann man sich wieder seiner Aufgabe zuwenden. Gravierende Störungen sind allerdings sehr selten, und meistens gibt es auch andere, die reagieren, und ein kurzer Wink zur Abstimmung reicht häufig aus. Beispiele solcher Störungen sind Unruhe im Publikum, Lärm von außen, Dominanz eines Podiumsteilnehmers, Ausfall der Technik oder kleine Unfälle wie ein umgeschüttetes Getränk. Die meisten Störungen können souverän übergangen oder mit ein bisschen Humor ausgeglichen werden.
4) Nachher:
Es ist normal, dass man hinterher voller Adrenalin alle möglichen Zustände zwischen Euphorie und Zerknirschung erlebt. Oft erlebt man die Situation noch einmal, geht sie immer wieder durch, kleine Fehler können riesig erscheinen und eine realistische Einschätzung fällt den meisten schwer. Das ist ok.
Das beste, was du jetzt tun kannst, ist das Adrenalin und die Anspannung mit deinen FreundInnen abzubauen: Tanzen gehen. Oder, wenn du lieber allein sein willst, spazieren oder joggen gehen. Und am nächsten Tag hast du Ruhe verdient.
Sollten Anspannung oder Erschöpfung länger als ein paar Tage anhalten, bist du wahrscheinlich weit über deine Grenzen gegangen. Überlege, wie du dich zukünftig besser schützen willst und hole dir Hilfe.
Zu jedem Engagement, das viel fordert, gehört ein Ausgleich. Du weißt, was dir gut tut. Nimm dir die Zeit dafür.
Für weitere Fragen kannst du dich an Psychologists/Psychotherapists4Future wenden. Wir bieten auch individuelle Beratung an. Du findest unsere Angebote für Engagierte, mit weiteren nützlichen Tips, auf:
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